Offener Bief – Keine Zwangshospitalisierungen Unschuldiger in Institutionen.

Manfred wird von seinem Mann Thomas durch einen Park geschoben. Auf dem Bild steht "Zuhause bleiben" und "#noIPReG"

Manfred Schwarz hat uns freundlicherweise seinen offenen Brief an Jens Spahn, zum Thema IPREG zur Verfügung gestellt. Obwohl Manfred in Mainz lebt, freuen wir uns sehr diesen Brief hier teilen zu dürfen. Denn das Vorhaben der Bundesregierung ist ein bundesweiter Angriff auf die Selbstbestimmung von behinderten Menschen.

Lieber Herr Jens Spahn,

da wären wir dann wieder.
Inzwischen bin ich 49 Jahre alt und lebe weiterhin mit meinem Mann und dem innig geliebten Kater Miau in Mainz. Genau so stelle ich mir meine Zukunft auch vor, wie für Menschen üblich.

Auf meinen ersten offenen Brief zum leider immer noch akuten Thema, der weiter beabsichtigten zwangsweisen „Heim“Unterbringung, haben Sie noch immer nicht reagiert. Andere, die Sie angeschrieben haben, bekamen zumindest einen Standardbrief als Antwort, der, offensichtlich, aus unverbindlichenTextbausteinen erstellt war.
Es geht an dieser Stelle also weiter um das sogenannte „Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-IPReG). Genauer, mir geht es um die Selbstbestimmung der davon Betroffenen. Es würde faktisch lebenslange „Heim“Unterbringungen medizinisch Versorgter erzwingen. Eine Gruppe, der unter anderem ich angehöre, die besonderen Schutz braucht, da sie vulnerabel (verletzlich) ist. Ich benenne Ihren aktuell in Verhandlung befindlichen Gesetzesentwurf im folgenden einfachheitshalber mit dem schlichten Kürzel IPReG.

Von Geburt an habe ich eine fortschreitende Muskelschwäche, nicht therapeutisch umkehrbar. Seit fast 30 Jahren, mit Anfang zwanzig, bin ich ständig auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen, mit dem ich gut zurecht komme. Ebenso gut wie mit der neu dazugekommenden Beatmungsmaschine, die ich nun seit fast drei Jahren, Anfang Juni 2017, zum Weiterleben benötige.
Weitere Hilfsmittel im Alltag sind Hörgeräte, der Sprachcomputer und Brillen. Um sie überhaupt nutzen zu können, brauche ich Assistenz, denn die Muskelschwäche erstreckt sich auf die vier Gliedmaßen. Der körperliche Bewegungsradius ist von meiner Seite aus gering, doch das lässt sich teilweise gut ausgleichen. Lebensqualität, Selbstbestimmung und Beeinträchtigung schließen sich bei mir nicht aus.
Diese Entscheidung vor drei Jahren, mich beatmen zu lassen, war von sehr großer Tragweite. Sie prägt und verlängert mein Leben. Ohne Beatmung wäre ich natürlich verstorben und nicht mehr bei meinen Lieben.
In den letzten sieben Monaten, seit dem 17. August 2019 um genau zu sein, kommen verstärkt Ängsten und Depressionen dazu, wie bei den anderen Betroffenen, weil Ihre damals an die Öffentlichkeit gelangten Pläne unsere Existenz bedrohen. Denn invasiv Beatmete sollten plötzlich allesamt, ohne Unterschied, in Pflege“heime“.
Wir sollten plötzlich keine Individuen mehr sein, bloß eine homogene graue Masse ohne Biographien, die einfach weggeschoben wird. Der psychische Druck wurde immens.

Etliche haben jetzt mit Suizidgedanken bei der in Zukunft drohenden Unterbringung im „Heim“ zu kämpfen, sie werden in schlaflose Nächte und um ihre Lebensqualität gebracht.
Ein hoher Preis, wie ich an dieser Stelle unterstreiche, der auch (psychosomatisch, also letztlich körperlich) mit der Gesundheit bezahlt wird. Das alles wird unter anderem durch die Art, wie sie in dieser Angelegenheit vorgehen, verursacht. Denn wir direkt oder auch „nur“ indirekt Betroffene (wie die Ehepartner, Pflege/Assistenz, Angehörige, Kinder, Freunde, Arbeitskollegen etc.) beobachten Ihr Vorgehen seitdem genau. Hierzu folgen noch mehr Erläuterungen.
Wir Beatmeten wurden, scheinbar über Nacht, auf einmal nicht mehr als die diversen, vielfältigen Menschen, die wir sind, gesehen. Dazu passt es gut, dass Betroffene und ihre Verbände, beeinträchtigte und nichtbehinderte Menschenrechtsaktivisten, durch die Presse vor vollendete Tatsachen gestellt wurden, statt bei dem Gesetzgebungsprozess bzw. dem Entwurf eingebunden zu werden. „Nichts über uns ohne uns!“ – klingelt bei Ihnen bei diesem in der Behindertenszene bekannten Slogan etwas? Mehrfach musste ich feststellen, dass Sie undemokratisch vorgegangen sind und uns vom Gestaltungsprozess ausgeschlossen haben.

Mainz ist übrigens an vielen Orten barrierefrei. Dies ermöglicht mir ein Leben, was diese Bezeichnung tatsächlich verdient. Ehrenamtlich konnte ich in der Vergangenheit mehrfach etwas dazu beitragen, dass bauliche Hindernisse beseitigt werden.
Meine Wohnung ist passend für mich hergerichtet, was etliche Jahre in Anspruch genommen hat. Ebenso wie das Knüpfen von sozialen Kontakten vor Ort, da meine Kommunikationsmöglichkeiten zunehmend eingeschränkt sind (Hör- und Sprechbehinderung zusammen sind eine unpraktische Kombination, ganz nüchtern betrachtet. Auch damit lässt es sich, unter den passenden Bedingungen, ganz gut leben).

Jahrzehntelanges Aufbauen und Entwickeln von Alltagsstrategien würde mit „Heim“Unterbringungen zunichte gemacht werden. Alles Hab und Gut praktisch auf die Straße geworfen. Leben, die sich eben nicht nur um Behinderungen drehen, wäre dann einfach mal zuende.
Familien würden geprellt, die für die Zukunft ihrer beatmeten Kinder kämpfen, also oft ihre gesamten Ressourcen (Geld, Zeit, Kraft, Liebe) investiert haben, damit ihre Lieben als Erwachsene ihre Leben leben können.
Mit meinem heutigen Ehemann Thomas bin ich seit zwanzig Jahren liiert, den Kater Miau habe ich seit neun Jahren in meiner Wohnung, er wird im September zehn und stammt aus dem Tierheim. Beide sind unverzichtbar für mich, so wie auch mein natürlicher Lebensmittelpunkt mit dem, was zum gelungenen Leben gehört – bei mir zuhause.

Wie Ihnen spätestens nun bekannt ist, bin ich ambulant versorgt, und somit strukturell vor einer Infektion mit dem Corona-Virus ziemlich sicher. Letzteres ist Ihnen doch aus den Medien bekannt? Natürlich halte ich mich an die Regeln, um Neuinfektionen zu vermeiden.
„Heime“ haben sich in den letzen zwei Monaten wieder international als Hotspots von Infektionen (dies nicht erst seit Corona) und aktuell als Todesfallen sowie Orte unmenschlicher Isolation erwiesen. Es ging weit über das hinaus, was die anderen Bürger notwendiger Weise zu unserer Sicherheit ertragen mussten und müssen, um gegen die Pandemie vorzugehen. Die Rede ist oft, das ganz zu recht, von Menschenrechtsverletzungen.
Details dazu würden den Rahmen dieses Briefes sprengen, und sind für Interessierte ja auch leicht den elektronischen Medien zu entnehmen. Ein einziges Beispiel trotzdem: https://kobinet-nachrichten.org/2020/05/07/corona-macht-katastrophale-zustaende-sichtbar/

Auf die von mir im ersten Brief an Sie zitierten Paragraphen der Gesetze im Grundgesetz, der UN-Konvention und der Tatsache des groben Verstoßes gegen Menschenrechte, gehe ich hier ebenfalls nicht erneut ein. Darauf wurden Sie ohnehin in den zahlreichen Briefen und Stellungnahmen von Betroffenen und Organisationen hingewiesen.
Sicher kennen Sie diese Paragraphen schon auswendig, aus zahllosen Gesprächen mit betroffenen Menschen (und den „indirekt“ Betroffenen wie Pfleger, Angehörige etc). Wir sind hartnäckig. Und Sie sind doch bürgernah, nicht war?
Die Betroffenen ließen sich nicht mundtot machen, selbst die, die nicht mehr sprechen konnten, und „nötigten“ Sie unermüdlich mit Ihnen zu reden. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn der Gesetzestext durchkommt.

Uns kann man nicht ignorieren. Wir sind es gewohnt, dicke Bretter zu bohren. Schon durch unsere zähen Kämpfe mit den Krankenkassen, um Grundbedürfnisse abgedeckt zu bekommen. Beispiele dazu finden sich auch zahlreich im Internet. Das Ringen dazu nimmt häufig Jahre in Anspruch, das wäre dann ein eigenes Thema.
Weshalb äußern Sie sich nicht einmal verbindlich zu dieser zahlreichen Kritik? Seit nunmehr sieben Monaten haben Sie nun Gelegenheiten, wirklich auf die Fragen der Betroffenen und ihrer Mitstreiter einzugehen. Oftmals haben Sie sie vor laufender Kamera ungenutzt verstreichen lassen. Denn was Sie, anscheinend mit Getrickse, durchdrücken wollen, verstößt gegen verbriefte Rechte.
Sie ließen sich mit Rollstuhlnutzern fotografieren, schmetterten die wirklichen Inhalte aber ab, statt wirklich mit ihnen zu arbeiten. Ich komme nicht umhin festzustellen, dass einem das Wort im Mund umgedreht wurde, und auf die entscheidende Frage, das Recht auf Wohnen und Unversehrtheit, einfach keine Antwort zurück kam.

Ich betone darum mit Nachdruck: Ihre Forderungen sind für Beatmete, die sich für ein Leben zuhause entschieden haben, existenz- und lebensbedrohend. In „Heimen“ ist selbst der lebenssichernde Ablauf medizinischer Maßnahmen nicht sichergestellt. Der geringe Personalschlüssel ist dabei eines der Hauptprobleme.
Dort droht zum Beispiel, dass Sekret nicht rechtzeitig aus den Atemwegen abgesaugt werden kann, wenn es bei den Patienten oder „Bewohnern“ mehrere Notfälle gleichzeitig gibt. Die möglichen Folgen sind Lungenentzündungen, häufige Krankenhausaufenthalte und das Ersticken am Sekret direkt im „Heim“. Natürlich neben der Gefahr der Krankenhauskeime, des Wundliegens, der Vereinamung, des körperlichen und geistigen Abbaus und so weiter.
Das „Heim“setting soll in der aktuellen Fassung des Gesetzesentwurfes auch für die Beatmeten bestimmt sein, die wach und klar aber nicht dazu in der Lage sind, einen Klingelknopf selbst zu bedienen.
Der inzwischen verstorbene Matthias Vernaldi, er war ein sehr erfahrender und umtriebiger Behindertenrechtsaktivist, formulierte: „Für mich konkret wäre eine stationäre Unterbringung noch schneller als für andere tödlich…“ https://patientenstimme-sma.de/stimmeblog/fuer-mich-konkret-waere-eine-stationaere-unterbringung-noch-schneller-als-fuer-andere-toedlich/

Klicken Sie den Link noch weiter oben ruhig als erstes an, er verdeutlicht manches über „Heime“. Und informieren Sie sich bitte weiter, zum Thema gibt es genügend Material, was jedem offen zugänglich ist.
Um nicht länger den Bock zum Gärtner zu machen (darauf gehe ich später ein, und muss dazu doch noch auf die Krankenkassen zurück kommen), sollten Sie endlich selbst Betroffene, Beatmete und ihr Umfeld, wirklich anhören, und Konsequenzen daraus ziehen.
Matthias Vernaldi wusste schnell, was ihm mit RISG geblüht hätte. Unter solchen Bedingungen hätte er sein relativ hohes Alter gar nicht erst erreicht.

Wie viele haben Sie zu sich nach Hause eingeladen, damit Sie, Herr Span, mal persönlich einen Tag mit einem Beatmungspatienten verbringen? Ich habe während meiner Aktivitäten mehrere mitbekommen, die das beabsichtigten.

RISG

Anfangs hieß der Gesetzesentwurf nicht IPReG sondern „Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz“ (RISG).
Dies nehme ich gleich an dieser Stelle vorweg: Der Entwurf hat unter dem Druck zahlreicher Proteste auf verschiedenen Kanälen und den Mahnwachen vor Ort, unter anderem vor dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), mehrere zum Teil sehr, sehr kurzfristige Änderungen erfahren, auf die ich nur ganz kurz, auszugsweise, eingehen kann. Eine Chronologie aller Ereignisse wird mein Schreiben also nicht. Zu unübersichtlich ist auch das Hin- und Her, die fehlende Transparenz Ihrerseits. Als Laie musste ich dabei den Überblick verlieren, deshalb beziehe ich mich auf den Ist-Zustand, und auf das, was Ihre Politik bei den Betroffenen angerichtet hat.
Was vom ersten Entwurf, RISG, geblieben ist, ist seine Stoßrichtung, ein Kern des Anliegens. Die Exklusion, das Herausreissen aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang. Die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas. Darauf ruht mein Augenmerk.

Letztlich immer aus Gründen der Kostenersparnis sollen Beatmungspatienten aus ihren Wohnungen in Sammeleinrichtungen kaserniert werden. Denn um neue Pflegekräfte zu gewinnen, muss man Geld in die Hand nehmen, Arbeitsbedingungen verbessern. Covid19 hat auch dies aufgezeigt. Nur, so wird dem Pflegenotstand und dem Verschleiß von Menschen scheinbar gar nicht begegnet.
Die Kosten der Versorgungen waren zu Anfang das ausschlaggebende Moment, später wird im Entwurf IPReG von „Alokation“ gesprochen. Doch jetzt greife ich zu weit vor, ein paar erklärende Details folgen bald.
Vor dem Hintergrund der Gedenkfeiern 2019, die sich um den Terror der Nationalsozialisten drehten, bekamen Kosten-Nutzen Kalkulationen, wie sie im Zuge mit RISG angeführt wurden, für viele von ihnen aufgeschreckte Kritiker einen sehr merkwürdigen Anstrich. Wie etwas ab 1933 bereits einmal Dagewesenes. Fest steht, Behinderte waren damals die ersten, die aus dem Stadbild verschwunden sind. Die, an denen die Tötungsmaschinerie erprobt wurde. Sie wurden entmenscht und auf ihre Beeinträchtigungen heruntergebrochen.

Als Betroffene vom geplanten Gesetz wurden in dieser Phase öffentlichkeitswirksam Menschen im Koma herangezogen, von denen man meinen könnte, dass die Umgebung für sie egal sei (was nicht stimmt), Betrugsfälle von Diensten und immer noch die fehlende Sicherheit in der Versorgung werden vom BMG hervorgehoben.
Die Pandemie, die dem Entwurf und dem zügigen Gesetzgebungsprozess dazwischenkam, hat dann ein weiteres mal verdeutlicht, daß Einrichtungen für die „Bewohner“ überhaupt nicht sicher sind. Im Gegenteil! Das sollte man immer im Hinterkopf behalten.

Viele haben bereits Ihren ersten Entwurf sehr aufmerksam gelesen, und sich darüber intensiv ausgetauscht. Er besagte – juristisch – etwas völlig anderes als das, was Sie absolut nicht müde wurden vor laufender Kamera mantraartig zu betonen, es beträfe „nur“ Komapatienten und Leute die sich nicht äußern können. Es betrifft jedoch einfach alle intensivpflegerisch ambulant versorgten.

Es ist für sich genommen bereits ein Skandal, komatöse Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen, in der sie mit größerer Wahrscheinlichkeit neurologisch so weit regenerieren können, dass sie wieder erwachen. Könnten Sie beispielsweise einer Mutter ins Gesicht sagen, dass ihr Kind nun keine Chance mehr hat? Was ist mit den Patienten, die nicht einmal Angehörige, Freunde haben, die sich für sie einsetzen können?
Letztere Frage ist hier rhetorisch zu verstehen, sie bedarf, so denke ich zumindest, keiner Antwort.

Die Rede war zu Zeiten von RISG noch von einem „Bestandsschutz“ der bereits ambulant Versorgten, der sich aber als Fakenews entpuppte. Denn gemeint war eine dreijährige Galgenfrist bis zur Endstation „Heim“. Woraufhin vielen Kritikern aufgefallen ist, dass diese „Heime“ derzeit auch noch gar nicht erbaut sind, um die Opfer Ihrer Politik unterzubringen. Seltsam? Aber wahr!
Der sogenannte Bestandsschutz ist ganz herausgenommen worden.

Ein zentraler Begriff um RISG/IPReG ist „Weaning“. Damit ist das Entwöhnen von Beatmungsmaschinen gemeint.
Ohne valide Datenlage brachten Sie kühn die steile These ins Spiel, dass es möglich sei 70% aller Patienten zu weanen, damit sie ohne Beatmung weiterleben können. Laut dem MDR gibt es nicht einmal Daten über die Anzahl der zuhause lebenden Beatmungspatienten. Eine der Zahlen war fünfzigtausend, die auf etwa zwanzigtausend herunterkorrigiert werden musste.
Eine Anfrage der Grünen enthüllte, dass dem Gesetz jedes statistische Fundament fehlte. Kurz zusammengefasst: Der Entwurf wirkte auf mich zunehmend bestenfalls wie ein Schuß ins Blaue. Aber sind Sie wirklich so naiv?

An dieser Stelle überspringe ich jetzt aus Kraft und Termingründen eine Menge, und wende mich einfach der letzten, nun aktuellen Fassung von IPReG zu.
Noch etwas Persönlicheres: Zum Schreiben nutze ich eine Bildschirmtastatur, die ich über die Maus bediene. Das ist langsam und mühselig. Früher konnte ich mit zehn Fingern blind auf der Tastatur tippen, die körperliche Beeinträchtigung schreitet fort. Alles kostet zunehmend Kraft, die ich anders als in die Kämpfe mit der Außenwelt einsetzen würde und müsste.
Je stärker man beeinträchtigt ist, desto weniger kann man es sich erlauben, in „Heimen“ zu leben, wie die Erfahrung zeigte. Das weiß ich, weil ich solche Einrichtungen von früher kenne, als „Bewohner“, und auch aus anderen Quellen.

IPReG

Als RISG zu IPReG wurde, habe ich mich bereits unter anderem in der Facebook-Gruppe „Freiheit für die Gänsegurgel“ eingebracht. Beim allsonntäglichen „Twittersturm“ dieser Gruppe habe ich, so regelmäßig wie es mir möglich war, mein Getwitter beigesteuert.
Unter dem Hashtags #NoIPReG und #noRISG gibt es auf Twitter nun seit geschlagen sieben Monaten Hinweise, Aufklärung und Kritik zu IPReG.
Die phonetische Nähe von RISG zu RISK war ein Anlass für Wortspiele. Als der Name des Gesetzes geändert wurde, war der Hashtag #noRISG längst viral gegangen und in den Twittercharts präsent. Auf IPReG reimt sich Dreck und der neue Hashtag lautet nun #noIPReG. Das haben wir wieder in die Charts gebracht. Dicke Bretter, Sie erinnern sich?

Hier etwas aktuell publiziertes zu der jungen Frau, die „Freiheit für die Gänsegurgel“ gegründet hat, lesenswert und erhellend, finde ich:
https://ze.tt/warum-sarah-angst-hat-gegen-ihren-willen-ins-pflegeheim-zu-muessen-behinderung-ipreg-gesetz/
Meine Aufforderung: Hören Sie ihr endlich zu!

Endlich komme ich zum Begriff „Alokalisation“, der von Ihnen angeführt wird.
Gemeint ist im Zusammenhang mit IPReG das Binden von (Fach)Pflegekräften an stationäre Einrichtungen, „Heime“. Da Pflegekräfte knapp sind, sollen sie als Ressourcen dorthin verschoben werden. Doch so einfach ist das alles natürlich nicht.
Wer versorgt die, die weiter zuhause leben? Was ist mit den Kräften, die nicht (mehr) in Einrichtungen arbeiten können oder wollen? Kennen Sie den Begriff #Pflexit nicht?
Vor Corona hätte wohl ein Drittel der Beschäftigten bei meinem Pflegedienst dem Beruf den Rücken gekehrt, wenn Sie gedrängt würden, in Heimen zu arbeiten, jetzt, durch Covid19 kann sich diese Zahl geändert haben.

Wer etwas darüber weiß, wie es aktuell in vielen Einrichtungen zugeht, kann sich ausrechnen, dass nun noch wenigere das Interesse oder die Kraft dazu haben, sich solchen Zuständen auszusetzen oder sich dafür zu opfern. Weder die Arbeitskräfte noch die Behinderten.
IPReG ist ein Ausdruck des über Jahrzehnte zunehmenden Drucks zur Arbeitszeitverdichtung, der ökonomisch abgearbeiteten „Patienten“. Angefangen bei der sogenannten Pflege“Versicherung“, mit der die Kommerzialisierung und Limitierung des Rechtes auf Gesundheit in den 90ern vorangetrieben wurde.
IPReG ist ein weiteres, neues Synonym für den Pflegenotstand und seine Nicht(!)lösung.

Auch beim Durchdrücken der „Pflegeversicherung“, SGB XI, wurde die Existenz behinderter normaler Menschen ausgeklammert. Damals vor 25 Jahren gab es ebenfalls Verzweiflung und Proteste, in Folge des SGB XI neue Versorgungsprobleme, jedoch längst nicht so gute Vernetzungsmöglichkeiten der Betroffenen, und somit nicht die Möglichkeiten, über soziale Netzwerke wie Facebook, in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Probleme und Zusammenhänge zu schaffen.
Wenn heute Menschen unter IPReG leiden, und das tun wir, wie Sie meinem offenen Brief ja entnehmen konnten, machen wir den Mund auf!

Die Zustände sind bekannterweise in den Krankenhäusern katastrophal. Wozu das während der Pandemie im Detail geführt hat, welche Zusammenhänge es gibt, führe ich nicht aus. Das ginge zu weit vom Thema dieses Schreibens weg.
Wir wollen einfach keine lebenslange Hospitalisierung und meiden Krankenhäuser darüber hinaus aus guten Gründen, doch genau dort führen Pflegeeinrichtungen über kurz oder lang immer wieder hin, als direkte Folge des „Wohnens“ im „Heim“!

Keine Privatsphäre, keine Sexualität, kein Studium, keine Arbeit, keine Hobbys, kein Miau für mich, kein… Alles das – und noch mehr Unzumutbarkeiten – wollen wir nicht ertragen. Für viele wäre es das Ende und die Entscheidung gegen die invasive Beatmung.
Es ist völlig absehbar, dass Betroffene in Zukunft, um nicht ins „Heim“ zu müssen, die erforderliche Beatmung mit schlimmen medizinischen Folgen vor sich herschieben würden, um den niederschmetternden Folgen zu entgehen.

Im Unterschied zum RISG sollen nun unterm Strich die Kostenträger (!), also die Krankenkassen, darüber entscheiden, bei wem die Pflege „tatsächlich und dauerhaft“ sichergestellt ist, ohne diese Pflege dann (wie bisher) sicherstellen zu müssen!
Pflegenotstand, Coronakrise – wo ist die Pflege also sichergestellt? Zuende zu denken, was das in der Praxis bedeuten kann, ist nicht schwierig. Nehmen Sie sich etwas Zeit dafür. Doch ich habe den Eindruck, Sie wissen es längst.
„Tatsächlich“ und „Dauerhaft“ sind, laut Anwälten, Begriffe, die zuvor juristisch nicht einmal klar definiert wurden. Wir können uns die Folgen denken, Zwangseinweisungen. Als juristischer Laie habe ich nur noch keine Vorstellung davon, wie die Kämpfe um Menschenwürde und Autonomie unter IPReG aussehen würden.

Nicht vergessen zu erwähnen will ich, dass Sie das elementare Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung aushebeln wollen.
Wer zur Begutachtung der Versorgungssituation keine Fremden in die Wohnung lassen will, soll einfach ins Heim abgeschoben werden, um dort begutachtet zu werden, wo es kein Privatleben gibt.
Das beabsichtigte Entziehen von Grundrechten müsste eigentlich überall die Alarmglocken schrillen lassen.

Ich bin wieder erschöpft, deshalb schließe ich meinen Brief nun und appeliere an Vernunft und Menschlichkeit.
Gewinner von IPReG wären private „Heim“Betreiber, die Einrichtungsketten aufkaufen, damit sie Rendite abwerfen. Gelder, die Beitragszahler erarbeitet haben, und für ihre Versorgung, unter anderem im Alter, gedacht waren, würden aus dem Geldverkehr gezogen und in privaten Händen akkumuliert werden.

Ich schließe nun mit den Worten meines ersten offenen Briefes: Rudern Sie bitte zurück!

Ad hock noch weitere Links, die angetan sind, weiter Licht ins Dunkel zu bringen:
https://bvkm.de/wp-content/uploads/2020/04/bvkm_stellungnahme-zum-ipreg.pdf
https://abilitywatch.de/2020/02/12/aenderungsvorschlaege-ipreg/

Der Link zur Petition: https://www.change.org/p/lasst-pflegebed%C3%BCrftigen-ihr-zuhause-stoppt-das-intensivpflegest%C3%A4rkungsgesetz-jensspahn-bmg-bund/u/24966171

Manfreds Kater Miau blickt erzürnt in die Kamera. Auf dem Bild steht " Manfred gehört mir, Spähnchen" und "#noIPReG"

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*


*