IPReG – Ein Gesetz wider die Menschlichkeit.

Ein Überwachungsgerät auf einer Intensivstation, im Spiegelbild sehen wir eine beatmete Puppe.

Mitte August 2019 ist die Welt in der Behindertenbewegung eigentlich noch völlig in Ordnung, es gibt wie immer die kleinen und die etwas größeren Scharmützel um das Thema Inklusion, doch die behinderten Aktivist*innen in Deutschland sind Streitereien um Barrierefreiheit mit der Bahn oder Kämpfe um Bewilligungen bereits gewohnt. Von daher lief eigentlich alles in den üblichen geordneten bzw. ungeordneten Bahnen ab. Doch dann gab es einen nicht zu erwartenden Angriff der Bundesregierung, um genauer zu sein des Bundesgesundheitsministers, auf die Selbstbestimmung von behinderten Menschen. Das RISG – „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz“ betritt die öffentliche Bühne. Volljährige behinderte Menschen die rund um die Uhr beatmet werden sollen, wenn es nach dem Willen des Gesundheitsministers geht, nur noch in stationären Einrichtungen leben. Ein selbstbestimmtes Leben, innerhalb der eigenen Familie oder in einer eigenen Wohnung, ist nicht mehr vorgesehen. Die Prüfung ob eine stationäre Unterbringung nicht Zumutbar wäre oder nicht obläge zukünftig den Sachbearbeiter*innen der Krankenkassen. Es wäre der Todesstoß für die außerklinische Intensivpflege.

Schnell bildet sich eine Widerstandsbewegung, die betroffenen Menschen, ihre Freunde und Familien, Fachverbände, behinderte Aktivist*innen und auch einige Politiker*innen ziehen in den politischen Kampf um die Freiheit. Zur selben Zeit startet der Gesundheitsminister seine PR-Tour, hierbei vermittelt er oft den Eindruck als wäre er ein Promi der seine Biografie vermarkten müsste. Er schüttelt Hände, beschwichtigt Patient*innen und Angehörige, betont immer wieder die Vorteile seines Vorschlags und dass dieser eine Verbesserung der Situation für die Patient*innen wäre, doch eine Bewegung innerhalb des Gesetzes bzw. eine Reaktion auf die Kritik findet lange nicht statt. Erst einige Monate später wird der Entwurf zurückgezogen, was wie ein Erfolg klingt wird zur Farce, denn kurz darauf erscheint die zweite Version des Entwurfs das Gesetz trägt nun einen neuen Namen, es heißt nun “(Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPREG”, inhaltlich änderte sich allerdings kaum etwas. Doch auch diesen Entwurf sollte es nicht lange geben, nach ein paar Wochen des Protests nahm das Bundesgesundheitsministerium auch diesen Entwurf zurück. 

Mittlerweile steht bereits der dritte Entwurf im Raum, dieser lag bisher am 6. Mai zur öffentlichen Anhörung vor. Mitten in der größten Krise des Landes nach dem zweiten Weltkrieg wollte das Bundesgesundheitsministerium in die Politische Beratung einsteigen, ausgerechnet dann wenn sämtliche Verbände eigentlich keine Zeit für Kritik und Debatten haben. Dieser Vorgang wäre nicht nur im höchsten Maße undemokratisch gewesen, sondern auch gefährlich für die betroffenen Menschen. Daher begrüßen wir es, dass die öffentliche Anhörung auf einem unbestimmten Zeitpunkt verschoben wurde.

Wenn das System selbst zum Intensivpatienten wird.

Über die Gründe mussten die Betroffenen, Aktivisten und Verbände lange Zeit spekulieren, anfangs ging es angeblich noch rein um steigende Kosten, doch mittlerweile scheinen die wahren Gründe offengelegt, es geht scheinbar vielmehr um das Pflegepersonal. Die Rechnung ist so einfach wie sie dumm ist, ein Patient bzw. eine Patientin mit außerklinischer Intensivpflege bindet mindestens fünf Pflegekräfte, befinden sich nun mehr Patient*innen in eine stationäre Unterbringung habe ich auch mehr Personal für diese Einrichtungen. Betrachtet man die Pflege als rein numerisch mag diese Rechnung durchaus richtig sein, doch man kann die Pflege niemals rein auf Zahlen reduzieren. Die Menschen die in diesen Berufen arbeiten haben den stationären Sektor nicht verlassen weil sie in der eins zu eins Betreuung ein ruhiges Leben haben, sie haben den stationären Sektor verlassen weil die Bedingungen mindestens als schlecht zu bezeichnen sind, rein realistisch müssten wir sogar von katastrophal sprechen.

Wenn das System selbst zum Intensivpatienten wird, leiden im Endeffekt nur die Pflegekräfte und dadurch auch die Patient*innen. Ernsthafte politische Versuche den Pflegekräften unter die Arme zu greifen, gibt es kaum. Man könnte versuchen den Beruf attraktiver zu Gestalten, zum Beispiel über faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Stattdessen greift man lieber die Selbstbestimmung von behinderten Menschen an und verstößt gegen internationale Abkommen, ist ja auch viel einfacher und billiger.

Die Rechte von behinderten Menschen stehen zum Verkauf.

Es drängt sich verstärkt der Eindruck auf, dass die Rechte von behinderten Menschen zum Verkauf stehen. In diesem Fall sind die Käufer die Menschen die Gewinn mit der stationären Unterbringung von behinderten Menschen machen und auch die Krankenkassen, die sich sicherlich ein paar Millionen Euro durch eine derartige Maßnahme sparen würden.

Auch der aktuelle Entwurf ändert diesen Eindruck nicht, denn Sätze wie “Wünschen der Versicherten, die sich auf den Ort der Leistung nach Satz 1 richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind und die medizinisch-pflegerische Versorgung an diesem Ort sichergestellt ist.” sind nichts weiter als eine Falle. Denn es heißt weiterhin 

“ Die Feststellung der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 bis 3 erfolgt durch die Krankenkasse nach persönlicher Begutachtung des Versicherten und des Leistungsorts durch den Medizinischen Dienst.”

Derartige Winkelzüge sind für uns von MUCSL ebenso wie für andere Verbände, Aktivisten und vor allem für die Betroffenen und ihre Familien nicht hinnehmbar. Wir fordern daher die unbedingte Einhaltung von Art.19 der UN-Behindertenrechtskonvention wonach “Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben”.

Desweiteren muss die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes auch für behinderte Menschen weiterhin gegeben sein.

 Zitat: 

“(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werde.”

Menschen mit einer Behinderung, die ihren Alltag selbstbestimmt bestreiten, sind durchaus in der Lage selbst zu entscheiden ob die medizinische Versorgung sichergestellt ist oder nicht. Diese Beurteilung darf unter keinen Umständen Dritten Personen anvertraut werden. 

Eine sich ständig wiederholende Kontrolle der Situation des Patienten bzw. der Patientin ist bei einer progressiven Erkrankung obsolet, eine Verbesserung der Situation ist ausgeschlossen. Daher sind ständig wiederholende Kontrollen eine belastende Situation für die behinderten Menschen, diese Belastungen sind unnötig und daher zu vermeiden.

Eine finanzielle Schlechterstellung der ambulanten Wohnform im Vergleich zur stationären Wohnform muss unter allen Umständen vermieden werden. Selbstbestimmt Leben darf nicht in noch größere Armut führen.

Sollte dieses Gesetz alle demokratischen Hürden überwinden und somit in Kraft treten, muss sich Deutschland tatsächlich fragen, wofür wir eigentlich die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet haben. Warum sagen wir Menschengruppen Rechte zu, um sie dann einfach zu übergehen wenn es uns gerade danach ist? Wie können wir bei Verstößen gegen Menschenrechte auf andere Länder zeigen wenn sie uns im eigenen Land, bei unseren eigenen Minderheiten, so wenig wert sind?

Photo by Tim Cooper on Unsplash

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